«Viele Lernende haben noch so viel ungenutztes Potenzial»

Technische Berufsschule Zürich

«Viele Lernende haben noch so viel ungenutztes Potenzial»

30. November 2020 agvs-upsa.ch – Patrizia Hasler ist die neue Rektorin der Technischen Berufsschule Zürich. Die TBZ bildet Lernende und gestandene Fachkräfte in der Automobiltechnik aus und weiter. Mit AUTOINSIDE spricht sie darüber, wie Corona die Digitalisierung im Unterricht vorantreibt, warum es wichtig ist, mehrfach benachteiligte Jugendliche zu fördern und was sie sich für die Berufsbildung wünscht.

cst. Für die Lernenden führt kein Weg an ihr vorbei: die Berufsfachschule. Erst mit dem Unterricht in der Berufsfachschule, der Ausbildung im Betrieb sowie in den überbetrieblichen Kursen erreichen die angehenden Fachkräfte die Ziele ihrer beruflichen Grundbildung: die berufliche Handlungskompetenz. Als eine der grössten Berufsfachschulen der Schweiz bildet die Technische Berufsschule Zürich (TBZ) Lernende in 16 verschiedenen Berufen aus, 4 davon in der Automobiltechnik. Seit Beginn des Schuljahres 2020/21 steht mit Patrizia Hasler eine neue Rektorin vor, die das Amt vom langjährigen Rektor Elmar Schwyter übernommen hat.
 
Patrizia Haslers Zeitplan ist arg gedrängt. Corona verlangt zahlreiche Abklärungen, es müssen Abläufe angepasst und verschiedenste Fragen beantwortet werden. Trotz alledem: Die Rektorin erscheint voller Energie zum Gespräch im geräumigen Sitzungszimmer im obersten Stock der TBZ. Dann legt sie ihr Tablet auf den Tisch und klappt es auf. «Hier ist alles drin, was ich benötige. Ich arbeite seit längerer Zeit papierlos», sagt sie und lächelt. «Das Tablet erleichtert mir die Arbeit sehr.» Dadurch, dass sie ortsunabhängig und jederzeit digital auf die benötigten Netzwerke und Informationen zugreifen könne, arbeite sie effizienter.

«Gerade in Zeiten von Corona, in der unnötige Kontakte zu vermeiden sind, gewinnt die Digitalisierung an Bedeutung», erklärt Patrizia Hasler. Das zeige sich nicht zuletzt in der Aus- und Weiterbildung, bei der immer mehr digitale Lehrmittel Einzug halten. «‹Distance-Learning› stellt jedoch Lehrkräfte wie auch Lernende vor Herausforderungen.» Das habe sich insbesondere während des Lockdowns herausgestellt, als der Unterricht im Frühjahr für zwei Monate ins Web verlegt wurde. Die Lehrpersonen mussten sich innert Kürze mit Web-basierten Lehrmitteln vertraut machen, während Lernende Selbstdisziplin und -organisation an den Tag legen mussten. Letzteres gelang nicht allen, so die Rektorin. «Wir stellten nach dem Lockdown fest, dass einige Lernende Wissenslücken im Lernstoff hatten.» Mangelnde Sprachkenntnisse sowie mangelhafter Zugang zu funktionierenden Arbeitsgeräten mit Internetanschluss waren weitere Gründe dafür. Die Lernenden, welche die Voraussetzungen für «Distance-Learning» nicht erfüllen konnten, wurden dank einer Ausnahmebewilligung durch das kantonale Mittelschul- und Berufsbildungsamt vor Ort in der TBZ unterrichtet.

«Die Digitalisierung fordert uns massiv heraus und wird uns auch weiterhin begleiten», sagt Patrizia Hasler. Denn: «Das hybride Lernen wird die Zukunft sein.» Damit gemeint ist ein ortsunabhängiges Lehrkonzept, das die Möglichkeiten der Vernetzung übers Web mit den klassischen Lehrmethoden vor Ort optimal vereint. «Dieses Lehrkonzept verändert das Berufsverständnis der Lehrkraft. Sie wird zum Begleiter des Lernenden, der ihm eigenverantwortliches Handeln lehrt.» Die Aufgabe der TBZ sei es, dafür zu sorgen, dass die Lernenden die nötigen beruflichen Handlungskompetenzen erwerben, die auch in der Wirtschaft gefragt sind.

Patrizia Hasler hat ihr Amt motiviert und gut vorbereitet angetreten. «Elmar Schwyter hat mich seriös eingeführt. Das hat mir den Start sehr erleichtert», blickt sie zurück. Nebst den Aufgaben, die sich aufgrund der Corona-Pandemie stellen, hat sich die Rektorin Verschiedenes vorgenommen. «Zum einen ist es mir ein Anliegen, dass die drei Abteilungen Automobiltechnik, Elektronik und Informationstechnik Synergien nutzen und an der TBZ vermehrt abteilungsübergreifend zusammenarbeiten.»

Durch den technologischen Wandel gebe es keine klaren Grenzen mehr. «Das zeigt sich bei modernen Autos mit Fahrerassistenzsystemen und/oder alternativen Antrieben. Ohne Elektronik und IT geht in der Automobiltechnik heutzutage nichts mehr.» Die Lernenden könnten so gemeinsame Projekte erarbeiten und dadurch ihre Handlungskompetenzen erweitern.

Zum anderen setzt sich Patrizia Hasler dafür ein, dass sowohl talentierte Lernende als auch Lernende, die aufgrund sozio-ökonomischer Faktoren mehrfach benachteiligt sind, ihr ganzes Potenzial entfalten können. Denn der Schweizer Arbeitsmarkt braucht hoch qualifizierte Arbeitskräfte zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit und solide Facharbeiter, welche die Arbeiten auf einem qualitativ hohen Schweizer Standard ausführen. 

«Betriebe, auch aus dem Autogewerbe, haben leider weiterhin Mühe, geeignete Nachwuchskräfte zu rekrutieren. Die Anforderungen steigen, technisch qualifizierte Fachkräfte sind gefragt. Somit ist für die Jungen zunehmend unabdingbar, dass sie für die längerfristige Integration in den Arbeitsmarkt einen Berufsabschluss erlangen.»

Wie können diese mehrfach benachteiligten Jugendlichen zu soliden Facharbeiterinnen und Facharbeitern ausgebildet werden? Wie gelingt es, das Image der Berufsbildung zu stärken? Mit diesen und weiteren Fragen beschäftigt sich Patrizia Hasler. Hier kann die Rektorin ihre langjährige Erfahrung in der Berufsbildung einbringen. Auch ihre Dissertation über ungenutztes Potenzial von Jugendlichen im Schweizer Bauhauptgewerbe aus dem Jahr 2016 liefert nützliche Ansätze. «Gerade Jugendliche, die über das Familiensystem keinen Bezug zur Arbeitswelt haben, kennen die Anforderungen der Arbeitswelt nicht. So sehen sie auch keinen direkten Zusammenhang zwischen schulischen Leistungen und der Realität auf dem Arbeitsmarkt», erklärt Hasler. Solche Jugendlichen seien im Schulalltag besonders auf Unterstützung und Rückmeldungen von Lehrkräften als enge Bezugspersonen angewiesen. Eine wichtige Rolle würden auch die Ausbildungsstätten einnehmen: «Wenn die Betriebe es schaffen, Jugendliche mit einem erhöhten Betreuungsaufwand am Anfang der Lehre zu integrieren, fühlen sie sich dem Betrieb gegenüber verpflichtet und haben dem Betrieb gegenüber ein sehr hohes Commitment.»

Patrizia Hasler weiss, dass Jugendliche je nach sozio-ökonomischem Status und Bildungsniveau der Familie spezifische Bedürfnisse haben. «Es ist wichtig, die Lehrkräfte dafür zu sensibilisieren und mögliche Fördermassnahmen zu entwickeln. Viele Lernenden haben noch so viel ungenutztes Potenzial», betont sie. «Hier müssen wir ansetzen!»
 
Persönlich
Vor ihrer Tätigkeit an der TBZ war Patrizia Hasler als nationale Leiterin der Sparte Weiterbildung am Eidgenössischen Hochschulinstitut für Berufsbildung tätig. Zuvor unterrichtete sie unter anderem an der Berufsfachschule für Gestaltung in Bern und leitete Projekte der Berufsbildung in der Abteilung Berufsbildungspolitik des Schweizerischen Baumeisterverbands. Patrizia Hasler verfügt über ein Lehrpatent für Sekundarschulen, ein Lehrdiplom für den allgemeinbildenden Unterricht auf Sekundarstufe II sowie einen Master in Berufsbildung. Ihre Dissertation verfasste sie über Lehrvertragsauflösungen und unausgeschöpftes Potenzial im Schweizer Bauhauptgewerbe. 
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